Lernen, vernetzen, wirken – Gleichstellung in europäischer Perspektive
Jede Nacht schlief ich direkt an einer der größten Kreuzungen Dublins ein – begleitet vom rhythmischen Zischen der Straßenbahn, hupenden Bussen, klingelnden Fahrrädern und dem Stimmengewirr der Stadt. Fünfzehn Buslinien, eine Luas-Linie und unzählige Fußgänger unter meinem Fenster: ein permanentes urbanes Konzert. Und doch fühlte ich mich sehr wohl in diesen zwei Wochen auf dem Campus des Trinity College. Zwischen ehrwürdigen Steinmauern, das Trinity College ist eine der ältesten Universitäten Europas, entfaltete sich ein Gefühl, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ankommen. Nicht als Tourist*in, sondern als Teil eines internationalen Netzwerks, als Lernende, als Verbundene. Das Erasmus+-Programm machte mir nicht nur einen Aufenthalt möglich – es schenkte mir eine neue Perspektive: auf meine Arbeit, auf Europa, auf mich selbst.
In dieser besonderen Atmosphäre durfte ich in die Arbeit des Equality, Diversity and Inclusion Office (EDI) eintauchen. In intensiven Gesprächen lernte ich, wie sich das Trinity College entlang der gesetzlichen Entwicklungen in Irland weiterentwickelt – und wie EDI dort nicht nur als Pflichtaufgabe, sondern gleichermaßen als gelebte Verantwortung verstanden wird.
Besonders beeindruckt haben mich die strukturellen Ansätze, wie etwa die Arbeit des RD&C Office (Respect, Dignity & Consent): eine Anlaufstelle, die mit der landesweiten Plattform Speak Out ein niedrigschwelliges Meldesystem für sexualisierte Gewalt und geschlechtsspezifische Diskriminierung etabliert hat – samt qualifizierter Botschafter*innen, die Betroffene begleiten, beraten und im weiteren Verlauf auch durch formale Verfahren führen können.
Darüber hinaus konnte ich Gespräche mit dem Global Office führen – jener Schnittstelle, an der internationale Perspektiven zusammenlaufen: Hier werden Studierende aus dem Ausland willkommen geheißen und unterstützt, gleichzeitig werden irische Studierende für Auslandsmobilitäten vorbereitet. Es war bereichernd zu sehen, wie sehr dort Mobilität als Möglichkeit für neue Blickwinkel verstanden wird – und wie wichtig persönliche Begleitung in internationalen Bildungskontexten ist.
Der erste emotionale Höhepunkt meines Aufenthalts kam jedoch unerwartet – nach Feierabend, im warmen Abendlicht des eher seltenen sonnigen irischen Frühsommers. Als nunmehr Teil des EDI-Offices durfte ich den 4. Empfang des LSBT+ Staff Network im Garten von Linda Doyle, der ersten Rektorin des Trinity College Dublin, mit vorbereiten. Dieses Netzwerk besteht seit 2015 und seit 2021, dem Jahr, in dem Linda Doyle zur Provost ernannt wurde, findet dieser Empfang statt – als Ausdruck echter Anerkennung und gelebter Gleichstellung. Unter dem Motto "joy for our anniversaries, strength for our future", zwischen Rhododendren und Steinskulpturen, stand ich bei Fingerfood und Musik des Trinity Staff Choirs mit Professor*innen, Techniker*innen, Verwaltungsmitarbeitenden, ohne zu wissen, wer welchen Titel trägt – und es spielte auch keine Rolle. Es ging um das Gespräch, um die Verbindung, um das gemeinsame Anliegen, Hochschulkultur inklusiv, sichtbar und menschlich zu gestalten. Dass an einer der traditionsreichsten Universitäten Europas queere Sichtbarkeit nicht nur symbolisch, sondern strukturell gefördert wird, war für mich nicht nur inspirierend – es war ein Moment tief empfundener Hoffnung.
Ein weiterer Höhepunkt meiner Hospitation war die Teilnahme an der EQUITAS-Konferenz auf dem Campus der Maynooth Universität – einer landesweiten Tagung zu allen Gleichstellungsthemen an Hochschulen Irlands. Die Keynote sprach niemand Geringeres als Sinéad Burke – eine Ikone der Inklusionsarbeit, die mit großer Klarheit und beeindruckender Wärme die zentralen Fragen der Barrierefreiheit und Teilhabe aufwarf. Ihre Worte hallen noch immer in mir nach: „Inklusion beginnt nicht bei den Anderen. Sie beginnt bei den Räumen, die wir schaffen – und bei den Fragen, die wir stellen.“
Ein weiteres besonderes Erlebnis im Pride Month Juni, der weltweit begangen wird, stellte die Pride in Research- Konferenz dar. Sie wird vom LSBT-Staff-Network organisiert, vom Trinity College und der Interessenvereinigung „Women in Research“ unterstützt und adressiert vor allem Wissenschaftler*innen der Dubliner Universitäten, aber auch Alumni, die über ihre Forschung und weitere Aktivitäten im Themenbereich der genderbezogenen Fragestellungen berichten: Ein wunderbarer Ort zum Netzwerken und der eigenen Forschung neue Aspekte hinzuzufügen. Bei einem Getränk lernte ich die PhD-Studentin Mary Condren kennen, die sich nach Eintritt in den Ruhestand vorgenommen hat, einen Doktorgrad zu erreichen - die typischen (eher Männer)-Hobbies im Ruhestand wie angeln und golfen interessierten sie nicht. Aus ihrer früheren Arbeit im Gesundheitssystem stellt sie sich die Frage, wie es lesbischen Paaren in diesem Gesundheitssystem ergeht, die ein Kind bekommen möchten. In Irland ist dies eine Frage des Entweder-Oder. Entweder die Paare organisieren alles allein, dann hat das Kind keine Chance auf einfache rechtliche Anerkennung. Oder sie entscheiden sich für die Betreuung innerhalb des irischen Gesundheitssystems, dann unterliegen alle Schritte eben diesem System. Im Gespräch bekam ich einen Eindruck davon, was das vor allem emotional für die Paare bedeuten kann, sich dabei entscheiden zu müssen. Mary Condren steht noch am Anfang ihrer Forschung, ich bin gespannt, was sie herausfinden wird.
Was bleibt, sind nicht nur Notizen und viele Fotos, sondern echte Begegnungen mit wunderbar zugewandten Kolleg*innen, Gespräche, die mich zum Nachdenken gebracht haben, und Impulse, die weit über die zwei Wochen in Dublin hinausreichen. Ich nehme nicht nur neue fachliche Perspektiven mit, sondern auch ein Gefühl dafür, wie lebendig Gleichstellungsarbeit an einer international ausgerichteten Hochschule sein kann – verwoben mit Geschichte, getragen von Offenheit, gestützt durch Haltung.
Dublin selbst hat mich dabei genauso bewegt wie mein Aufenthalt am Trinity College: eine pulsierende Stadt mit tiefer, oft widersprüchlicher Geschichte, mit Tempo, Lautstärke, Reibung – und gleichzeitig Orten der Stille, der Solidarität, der Utopie. Ich wünsche mir, noch einmal zurückzukehren – nicht nur als Besucherin, sondern als Teil eines größeren Austauschs.
Deshalb meine Einladung an alle, die mit dem Gedanken spielen, im Ausland berufliche Erfahrungen zu sammeln: Nutzt die Möglichkeiten, die Programme wie Erasmus+ bieten. Es lohnt sich – fachlich, persönlich, menschlich.
Und wer Unterstützung beim Planen, Antragstellen oder Vernetzen braucht: Ich teile meine Erfahrungen gern und helfe weiter. Denn Europa lebt nicht allein von Verträgen, sondern von Begegnung.
Erasmus+ für Hochschulpersonal
Was ist Erasmus+?
Erasmus+ ist das EU-Programm für Bildung, Jugend und Sport. Es fördert nicht nur Studierende, sondern auch Hochschulmitarbeitende: Lehrende wie auch Personen aus Technik und Verwaltung.
Was wird gefördert?
* Hospitationen und Weiterbildungen an Hochschulen in Europa
* Reisetätigkeiten von 2 Tagen bis zu 2 Monaten
* Zuschüsse zu Reise- und Aufenthaltskosten
Warum teilnehmen?
* Internationale Vernetzung
* Neue fachliche Impulse
* Spracherwerb und interkulturelle Kompetenz
* Motivation und Inspiration für die eigene Praxis
Wer kann mitmachen?
Alle Mitarbeitenden an Hochschulen – unabhängig von Statusgruppe oder Funktion. Besonders ermutigt wird die Teilnahme von Personen aus Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsbereichen, Verwaltung, Technik, Studienberatung, IT und vielen weiteren Bereichen.
Wie geht's los?
Einfach beim International Office melden – dort gibt es Beratung, Förderhinweise und Unterstützung bei der Organisation sowie Informationen zur finanziellen Förderung der Auslandsmobilität.
Mehr dazu